
Interview mit Prof. Stefanie Steinebach
9. September 2025Interview mit Christine Schmitt, Leiterin des Walderlebniszentrums & forstlichen Versuchsgartens Grafrath
„Die rasanten klimatischen Veränderungen erfordern mehr Offenheit. Heimisch ist nicht immer automatisch besser.“
Auf Weisung von König Ludwig II wurde 1881 der forstliche Versuchsgarten im bayerischen Grafrath angelegt. Auf dem Areal sollte erforscht werden, wie und welche Baumarten aus fernen Ländern und Kontinenten in der Region wachsen. Zudem können sich Besucherinnen und Besucher im neugebauten Walderlebniszentrum das ganze Jahr über die nachhaltige und multifunktionale Forstwirtschaft informieren.
Heute finden sich auf etwa 34 Hektar mehr als 200 verschiedene Baumarten. Und der damalige Auftrag ist mit Blick auf den Klimawandel und die daraus resultierenden Herausforderungen für die Forstwirtschaft für die Einrichtung und ihre Leiterin Christine Schmitt aktueller denn je.
Wir haben Sie zum Interview getroffen.

Walderlebniszentrum und forstlicher Versuchsgarten Grafrath. Foto: Gero Brehm
Wald ist Klimaschützer (WiK): Frau Schmitt, wie sind Sie zu ihrer Aufgabe gekommen und welche Qualifikation muss eine Leiterin eines forstlichen Versuchsgartens mitbringen?
Christine Schmitt (CS): Ich habe Forstingenieurwesen an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf in Freising studiert und bin nach mehreren Stationen nun seit diesem Jahr Leiterin des Walderlebniszentrums Grafrath sowie des Forstlichen Versuchsgartens. Für diese Aufgabe braucht es eine forstwissenschaftliche Ausbildung und den Vorbereitungsdienst der bayerischen Forstverwaltung. Die Position vereint mein Interessen für nachhaltigen Waldbau, meine langjährige Erfahrung im Waldnaturschutz und meine Leidenschaft für Waldpädagogik.
WiK: Das Areal wurde vor rund 150 Jahren angelegt. Wie genau sieht der forstliche Versuchsgarten heute aus und welche exotischen Bäume stehen auf der Fläche?

Ein Riesenmammutbaum (Sequoiadendron Giganteum) ist eine der vielen Baumarten, die auf dem Gelände in Bayern stehen. Foto: Martin Piepenburg
CS: Der forstliche Versuchsgarten hat sich in 150 Jahren natürlich stark weiterentwickelt. Ursprünglich lag der Fokus darauf, Baumarten aus ähnlichen Breitengraden nach Bayern zu holen, vor allem aus Nordamerika und Asien. Man suchte wuchskräftige Arten, die in Zeiten der industriellen Entwicklung den hohen Holzbedarf decken konnten, weshalb viele dieser Bäume gepflanzt und eine eigene Baumschule eingerichtet wurden. Das Gelände diente lange ausschließlich der Forschung. In den vergangenen 20 Jahren wurde es jedoch schrittweise für die Öffentlichkeit geöffnet. Acht Monate im Jahr ist der Garten frei zugänglich und zusätzlich bieten wir ein eigenes Programm an.
Auf dem Gelände stehen vielfältige Baumarten, viele davon in kleinen Beständen statt einzeln. Aus Nordamerika stammen etwa Roteichen, Bergmammutbaum oder Douglasien, aus Asien finden sich Arten wie japanische Ahorne, Baumkraftwurz oder Katsurabäume. Später kamen Baumarten aus dem baltischen und südosteuropäischen Raum hinzu, darunter Balkan-Eichen, Baumhasel, Zerreiche, griechische Tanne, Libanon-Zedern oder Schwarzkiefer. Insgesamt wachsen hier rund 200 nicht heimische Arten.
WiK: Zu Zeiten von König Ludwig war der Klimawandel noch kein Thema. Wie intensiv befassen Sie sich heute in Grafrath mit dem „Wald als Klimaschützer“?
CS: Der forstliche Versuchsgarten gehört zur bayerischen Forstverwaltung, die Flächen selbst zu den Bayerischen Staatsforsten. In Bayern sind die Aufgaben klar getrennt. Die Bayerischen Staatsforsten A.ö.R bewirtschaften den Staatswald, während die Forstverwaltung die hoheitlichen Aufgaben übernimmt, zu denen auch meine Arbeit zählt. Der Wald als Klimaschützer ist dabei ein zentrales Thema. Wir beraten Waldbesitzer im ganzen Land und erleben unmittelbar, wie stark der Klimawandel Wälder belastet.
Unsere Arbeit hat deshalb zwei Ebenen. Zum einen betrachten wir das historische Erbe des Versuchsgartens. Welche Baumarten haben sich bewährt? Welche könnten künftig relevant sein? Und welche neuen Arten wollen wir einbringen? Zum anderen erfüllen wir einen Bildungsauftrag. Wir vermitteln der Öffentlichkeit, warum eine multifunktionale Forstwirtschaft wichtig ist, weshalb Wälder nicht einfach stillgelegt werden sollten und wie verschiedene Nutzungs- und Schutzfunktionen zusammenwirken. Der Wald als Klimaschützer begleitet uns damit täglich, in der Beratung ebenso wie in der Bildungsarbeit.
WiK: Welche Eigenschaften muss eine Baumart haben, um in Zeiten des Klimawandels in unseren Breitengraden auch künftig resistent und leistungsfähig zu sein?
CS: Wir beobachten seit Jahren, dass Wetterextreme zunehmen. Längere Trocken- und Dürrephasen, heftigere Stürme und stärkere Niederschläge setzen den Wäldern zu. Deshalb brauchen wir Baumarten, die genau mit solchen Bedingungen zurechtkommen. Unser Blick geht dabei unter anderem in Richtung Balkan. Dort herrscht ein deutlich kontinentaleres Klima mit ausgeprägter Trockenheit, gleichzeitig aber noch mit Frostperioden. Auf regionaler Ebene ist auch der Vergleich mit dem heute bereits wärmeren Rheintal interessant. Baumarten, die dort bestehen, können künftig auch für uns relevant sein.
Wichtig ist außerdem, dass sich diese Arten gut in Mischungen einbringen lassen. Reine Bestände haben sich als zu anfällig erwiesen, deshalb setzen wir auf vielfältige Mischwälder. Baumarten müssen also eine gewisse Schattentoleranz mitbringen und nicht ausschließlich Lichtbaumarten sein. Gleichzeitig spielt die Holznutzung weiterhin eine Rolle. Es bringt wenig, klimastabile Arten einzuführen, deren Holz kaum genutzt werden kann. Eine multifunktionale Forstwirtschaft bleibt für uns zentral, auch um die regionale Holzversorgung zu sichern.
Für die Auswahl arbeiten wir mit den aktuellen „Leitlinien Baumarten für den Klimawandel“ der bayerischen Forstverwaltung (PDF). Unsere Revierförster nutzen zudem eine GIS-gestützte App (BaSIS 2.0), die Standortdaten und künftige Klimaprognosen berücksichtigt. Man kann dort verschiedene Klimaszenarien einstellen und erhält standortbezogene Empfehlungen dazu, welche Baumarten in 20, 50 oder 100 Jahren noch überleben können. Dieses IT-gestützte Werkzeug ist in der Beratung enorm hilfreich.
WiK: Welche Baumarten und Konzepte haben mit Blick auf den notwendigen, aktiven Waldumbau aus ihrer Sicht besonderes Potenzial?
CS: Für den aktiven Waldumbau braucht es einen mehrstufigen Blick. Zunächst geht es um heimische Baumarten, die schon heute in Bayern vorkommen. Im zweiten Schritt sollten seltenere heimische Arten gestärkt werden. Dazu zählen etwa Elsbeere, Edelkastanie, Flaumeiche oder Feldahorn. Viele davon stehen bislang eher in der zweiten Baumschicht. Sie werden aber in Zukunft eine größere Rolle spielen. Drittens lohnt der Blick auf Regionen in Europa, die heute bereits klimatische Bedingungen haben, die uns künftig erwarten. Und viertens geht es um alternative, nicht heimische Arten, wie wir sie im Versuchsgarten seit langem beobachten. Entscheidend ist, dass sie zu unseren Standortbedingungen passen und zugleich eine nutzbare Holzressource bieten.
Für Waldbesitzer bleibt eine breite Mischung das Wichtigste. Dazu gehört auch, resistente Individuen heimischer Arten wie der Esche zu erhalten. Vielfalt schafft Stabilität und ist die entscheidende Grundlage für zukunftsfähige Wälder.
WiK: Nicht jede Baumart passt zu jedem Ort. Wie wichtig ist für einen erfolgreichen Waldumbau, die Baumarten an den individuellen Standort anzupassen?
CS: Das ist aus meiner Sicht das Wichtigste überhaupt. Erfolgreicher Waldumbau beginnt damit, den Standort genau zu kennen. Dazu gehört das Erfahrungswissen der Waldbesitzer ebenso wie die fachliche Beurteilung von Boden, Wasserhaushalt, Wurzelverhalten und Zuwachspotenzialen. Gleichzeitig müssen wir berücksichtigen, wie sich das Klima verändert. Die Kunst der Forstwirtschaft besteht darin, Baumarten auszuwählen, die genau zu diesen Bedingungen passen.
Ebenso entscheidend ist das Zusammenspiel verschiedener Arten in Mischbeständen, denn sie werden künftig eine noch größere Rolle spielen. Dazu gehört auch die Frage, wie man solche Bestände pflegt, damit sie sowohl den betrieblichen Zielen dienen als auch klimatolerant und zukunftsfähig bleiben.

Das Besucherzentrum wurde aus Holz gebaut. Entworfen wurde das Gebäude von dem Münchner Architektenbüro Meininghaus + Meßenzehl. Foto: Martin Piepenburg
WiK: Welche Rahmenbedingungen braucht es für die nachhaltige Bewirtschaftung, um die von ihnen gewonnenen Erkenntnisse in der Praxis und der Fläche umsetzen zu können?
CS: Aus meiner Sicht braucht es für die Umsetzung unserer Erkenntnisse mehrere Rahmenbedingungen. Zunächst ist gesichertes Vermehrungsgut entscheidend, also Pflanzmaterial aus klar dokumentierten und geprüften Herkünften. Früher wurde darauf kaum geachtet. Das merken wir im Versuchsgarten heute noch. Bei älteren Beständen lässt sich die genaue Herkunft oft nicht mehr bestimmen. Deshalb achten wir bei neuen Pflanzungen auf präzise Herkunftsnachweise, damit Waldbesitzer später gezielt darauf zurückgreifen können.
Zweitens brauchen wir kontinuierliche Praxisanbauversuche, um Wachstumsverhalten und Holzeigenschaften neuer Arten zu prüfen. Hier ist eine engere Zusammenarbeit mit der Holzindustrie zentral, damit innovative Produkte entstehen und neue Holzarten sinnvoll genutzt werden können.
Drittens braucht es politische Rahmenbedingungen, die multifunktionale Forstwirtschaft anerkennen und fördern. Eine reine Trennung von Nutzung und Schutz führt nicht weiter. Wir müssen Holz regional erzeugen, wenn wir verhindern wollen, dass durch Stilllegung mehr tropische Wälder unter Druck geraten. Auch bewirtschaftete Wälder schaffen Biodiversität und ein Zuhause für heimische Arten.
Und viertens ist Aufklärung ein wesentlicher Baustein. Viele sehen den Wald vor allem als Erholungsraum. Wir müssen aber stärker vermitteln, warum nachhaltige Holznutzung, Ressourcenschonung und regionales Bauen zentrale Beiträge zum Klimaschutz sind. In diesem Zusammenhang halte ich eine zu enge Fokussierung auf rein heimische Baumarten, wie sie etwa in Teilen der geplanten EU-Wiederherstellungsverordnung vorgesehen ist, für problematisch. Die rasanten klimatischen Veränderungen erfordern mehr Offenheit. Heimisch ist nicht immer automatisch besser. Potenziell geeignete Baumarten – heimische wie nicht heimische – sollten wir wissenschaftlich begleiten, statt das System durch strenge Abgrenzungen zu blockieren. Vielfalt, Forschung und Flexibilität sind die Grundlage für stabile Wälder.
WiK: Sie sind nicht nur forstlicher Versuchsgarten, sondern auch Bildungsort. Was können Kinder und Erwachsene bei Ihnen über den Klimaschützer Wald lernen – und welche Rolle spielt dabei das Thema Holz und nachhaltiges Bauen?

Walderlebniszentrum und forstlicher Versuchsgarten Grafrath. Foto: Gero Brehm
CS: Das Besondere bei uns ist die Verbindung aus forstlichem Versuchsgarten und Walderlebniszentrum. Seit 2023 besuchen uns jedes Jahr über zehntausend Kinder und Erwachsene. Im Mittelpunkt steht, Verständnis für eine multifunktionale Forstwirtschaft zu vermitteln. Wald kann geschützt und gleichzeitig nachhaltig bewirtschaftet werden.
Wir holen diese Themen bewusst in den Alltag der Menschen. Bei Schulklassen beginnt das oft mit einfachen Fragen wie: Welches Holzprodukt nutzt ihr jeden Tag? So schaffen wir Zugänge, die ohne erhobenen Zeigefinger auskommen und an die Lebenswelt der Besucher anknüpfen.
Waldpädagogik spielt dabei eine große Rolle. Mit jüngeren Kindern arbeiten wir spielerisch. Erwachsene sensibilisieren wir für die Verantwortung, die in ihren Konsumentscheidungen liegt – vom Einkaufen über Mobilität bis zur Wahl von Baustoffen.
Ein weiterer Schwerpunkt ist Klimagerechtigkeit. Wer verursacht hohe Emissionen? Wer leidet heute schon besonders unter den Folgen? Gerade Kinder zeigen dafür eine erstaunliche Offenheit und entwickeln schnell ein Gerechtigkeitsgefühl. Uns ist wichtig, ihnen wie auch Erwachsenen zu vermitteln, dass sie Einfluss haben und Veränderung möglich ist.
Resignation hilft beim Kampf gegen den Klimawandel nicht. Wissen, Verständnis und Selbstwirksamkeit dagegen schon.
WiK: Vielen Dank für das Interview!
